Langjährige Präsidentin der INA gGmbH
Zum Gedenken an Dr. Christa Preissing
Innovationen nachhaltig umsetzen – Am Beispiel der Internationalen Akademie Berlin
Christas Spur als Gründerin
Ein Beitrag zur Würdigungsfeier für Christa Preissing am 26. September 2022 von 15–18 Uhr in der Freien Universität Berlin
von Angelika Krüger
Gründungsgesellschafterin (1996)
Direktorin des Institute for Youth and Community Empowerment
Videolink zu Dr. Christa Preissings Wirken
Liebe Lisa, liebe Familienangehörigen,
Liebe Freund:innen und Wegbegleiter:innen von Christa,
Sehr verehrte Damen und Herren!
Es ist mir eine Ehre, heute hier in diesem Rahmen Christas außerordentlich wichtigen Beitrag zur Gründung, zum Aufbau und zur Entwicklung der Internationalen Akademie Berlin zu würdigen – einer Organisation, in der in verschiedenen Arbeitsbereichen vielfältige Innovationen erarbeitet und in nachhaltige Praxis umgesetzt werden.
Es gab sehr früh eine tiefe Spur in Christas Arbeit, die sich als wesentlich für die nachhaltige Umsetzung und Institutionalisierung der von ihr (mit)entwickelten Innovationen herausstellte: Christas Spur als Gründerin. Wie sie selbst einmal von sich gesagt hat:
„Ich bin eine Gründerin!“
Was war das Besondere an Christa als Gründerin?
Eines der zentralen Ziele in Christas Arbeit war es, in der Umsetzung des pädagogischen Konzeptes des Situationsansatzes Empowerment-Prozesse zur Durchsetzung von gesellschaftlicher Teilhabe und aktiver Partizipation insbesondere von Kindern und Jugendlichen – im Sinne der Menschenrechte und der Kinderrechte – sowie von selbstbestimmter Gestaltung von Lebenswelten und Lebensqualität zu fördern mit dem eindeutigen Ziel der nachhaltigen Umsetzung von entsprechenden Veränderungen in der Praxis, insbesondere im Bildungssystem vom Kindergarten zur Hochschule.
Diese drei aufeinander bezogenen Dimensionen ihrer Arbeit: Konzept – Inhalt – nachhaltige Umsetzung in konkrete Praxis in Verbindung mit ihren vielfältigen Kompetenzen haben Christa zur engagierten und erfolgreichen Gründerin werden lassen.
Sie hat sich dafür eingesetzt, dem Inhalt und der Zielsetzung entsprechende institutionelle Strukturen im 3. Sektor zusammen mit Weggefährt:innen selbst aufzubauen, selbst Träger der praxisrelevanten Arbeit zu werden. Organisationen aufzubauen, die nah an der Praxis sind mit all den direkten praxisbezogenen Handlungsmöglichkeiten bezüglich der Entwicklung und nachhaltigen Umsetzung von Innovationen. NGOs, die gewisse Handlungsräume eröffnen, aber auch Gewicht haben in der Kooperation mit politischen Entscheidungsträgern und Verwaltungen des öffentlichen Sektors, die überzeugen können und die vertrauenswürdig für Geldgebern und Förderern sind.
In diesem Sinne hat Christa einige Gründungen auf den Weg gebracht, die Ludger Pesch heute bereits kurz erwähnt hat.
Obwohl dieser Weg in den 1970iger, 80iger und 90iger Jahren dem Zeitgeist einer wachsenden und erstarkenden Zivilgesellschaft entsprach, war es kein einfacher Weg und bedurfte klarer Strategien, vielfältiger Kompetenzen, eines langen Atems und Risikobereitschaft.
Die Gründung der Internationale Akademie Berlin
Christa war begeistert von Jürgen Zimmers Initiative und stieg sofort mit ein in die Vorbereitung der Gründung eines neuen gemeinsamen institutionellen Daches, eines gemeinsamen Ortes für den Situationsansatz, Community Education, soziale Psychoanalyse und Entrepreneurship – eines Daches für den Dialog dieser vier Ansätze untereinander, für praxisrelevante Wissenschaft, Forschungsprojekte, innovative lokale, nationale und internationale Praxisprojekte, Fort- und Weiterbildung, Diskussionsforen zum interdisziplinären Austausch und zur Entwicklung gemeinsamer Arbeitsvorhaben, Vermittlung neuer Impulse im wissenschaftlichen Dialog als auch in der öffentlichen Diskussion.
Aufgrund ihrer guten Vernetzung und ihrem großen Engagement war Christa maßgeblich daran beteiligt, Gleichgesinnte, befreundete Professor:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Freien Universität Berlin sowie interessierte Kolleg:innen und befreundete Mitstreiter:innen aus einschlägigen Projekten und Vereinen für die Initiative zu gewinnen und zusammenzubringen, um dieses Vorhaben im Sinne der Gründungsidee gemeinsam auszugestalten – das Selbstverständnis, die Gesamtkonzeption und die Rechtsform – den Common Ground – zu beraten und letztendlich diese gemeinsame Organisation zu gründen.
In dem von Christa moderierten, oft auch sehr kontroversen Findungsprozess kristallisierte sich ein Kreis von mehr als 10 Kolleg:innen heraus, die Expert:innen in den vier gewählten Kernkonzepten und von der Idee begeistert und bereit waren, sich an der Gründung zu beteiligen, Gesellschaftsanteile zu übernehmen und ihre Arbeitsbereiche in die neue Organisation einzubringen.
Am 13. Mai 1996 war es dann soweit: Die Internationale Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie – kurz INA – wurde als gemeinnützige GmbH mit 11 Gesellschafter:innen gegründet.
Es wurden fünf Institute als operative Basis für die Arbeitsbereiche gegründet, die von den Gründungsgesellschafter:innen eingebracht und geschäftsführend geleitetet wurden:
- Institut für den Situationsansatz (ISTA), das von Christa und Christine Lipp-Peetz in Zusammenarbeit mit Rita Haberkorn, Elke Heller und Ludger Pesch aufgebaut und geleitet wurde.
Hier fanden all ihre Arbeitsvorhaben und ihre jahrelangen Erfahrungen in der Umsetzung und der Weiterentwicklung des Situationsansatzes eine neue operative Basis.Darüber hinaus waren das Konzept und die Prinzipien des Situationsansatzes die leitende Grundidee für die gesamte INA. - Institut für Schule und Innovation, von Ulrike Becker in Zusammenarbeit mit Hartwig Henke aufgebaut und geleitet.
- Institut für psychosoziale Prozesse und Versorgung, später Büro für psychosoziale Prozesse (OPSI), Leitung: David Becker und Stephan Becker
- Studio für Entrepreneurship, Leitung: Günter Faltin
- Und das von mir gegründete Institut für Community Education (ICE), seit 2001 Institute for Youth and Community Empowerment
Es basierte auf meiner jahrelangen Community-Education-Arbeit in Deutschland und international, die eng verbunden war mit dem Situationsansatz.
Ein sechster von Jürgen Zimmer geleiteter Arbeitsbereich war die Shaul B. Robinsohn-Forschung mit den Schwerpunkten: Curriculumforschung und ‑entwicklung, Lehrer- und Erzieherausbildung und Vergleichende Erziehungswissenschaft.
Christa hatte neben Jürgen Zimmer, dem Präsidenten der INA, zunächst als Vizepräsidentin, Stellvertreterin und designierte Nachfolgerin des Präsidenten und nach seinem Ausscheiden im Jahr 2017 Präsidentin von Anfang an eine tragende und verantwortungsvolle Rolle in der Gesamtorganisation.
Im Laufe der 26 Jahre seit der Gründung hat sich die INA mit der engagierten Arbeit des Präsidiums in unterschiedlicher Besetzung und einer professionellen Geschäftsführung und Verwaltung organisatorisch weiterentwickelt und nach einer zwischenzeitlichen Expansion auf 20 Institute heute mit einer Kerngruppe von 10 erfolgreich arbeitenden Instituten inhaltlich stabilisiert. (siehe Anhang)
Ein Beispiel von vielen für die erfolgreiche Arbeit unserer Institute im Sinne der nachhaltigen Umsetzung von Innovationen ist das Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung (BeKi):
Christa hatte 2008 zusammen mit Henriette Heimgärtner für die INA an einer Europa- weiten Ausschreibung der für Jugend zuständigen Berliner Senatsverwaltung für ein Qualitätsinstitut für frühkindliche Bildung teilgenommen. Der Zuschlag ging an die INA und führte zur Gründung des BeKi innerhalb der INA, das von der Senatsverwaltung mit der Implementierung des Berliner Bildungsprogramms sowie mit der fortlaufenden wissenschaftliche Begleitung zu den Implementierungsprozessen beauftragt wurde.
Das Berliner Bildungsprogramm war unter der Leitung von Christa von einer Arbeitsgruppe an der INA mit Mitarbeiter:innen des Instituts für den Situationsansatz (ISTA) erarbeitet worden.
Bei dieser Gründung werden die eingangs von mir genannten drei Dimensionen, die Christa zur erfolgreichen Gründerin gemacht haben, Konzept – Inhalt – nachhaltige Umsetzung in konkrete Praxis, sehr deutlich.
Zusammenfassend können wir feststellen, dass es uns mit vereinten Kräften und den herausragenden Beiträgen von Christa trotz vielfältiger Herausforderungen gelungen ist, letztendlich eine Organisation mit hoher konzeptioneller und inhaltlicher Kompetenz, einer anerkannten Reputation und mit erfolgreichen und nachhaltigen Umsetzungen von Innovationen in der Praxis in den jeweiligen Arbeitsbereichen und als Gesamtorganisation aufzubauen.
Eine Organisation, die auf positive Resonanz und großes Interesse in der Fachöffentlichkeit und in den jeweiligen Praxisfeldern im In- und Ausland stößt und der relevante Geldgeber vertrauen – Geldgeber und Förderer nicht nur in Deutschland sondern auch in Europa, den USA und in weiteren Ländern, unter ihnen große Stiftungen, die Europäische Kommission und lokale und nationale öffentliche Geldgeber.
Damit ist es uns gelungen, mit der INA – dem gemeinsamen Dach – für die Arbeit der einzelnen Institute und die nachhaltige Umsetzung von Innovationen bessere Rahmenbedingungen und eine stabilisierende und perspektivisch relevante Basis zu schaffen.
Was war Christas besonderer Beitrag?
Christa hat den Gründungs‑, Aufbau- und Entwicklungsprozess der INA mit ihren persönlichen und professionellen Kompetenzen bewundernswert moderiert und gestaltet – mit ihrer klaren Vision, ihrem inneren Kompass, ihrer Integrität, ihrer bereits jahrelangen Arbeit auf der Basis des Situationsansatzes, ihrer inhaltlichen und strategischen Kompetenz, ihrer bemerkenswerten Dialogfähigkeit und ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, verschiedene Interessen und Überzeugungen zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenzuführen, mit ihrer Entschlossenheit, Beharrlichkeit und ihrem Durchhaltevermögen, aber auch mit ihrem Humor und einem gehörigen Maß an Bodenständigkeit und ihrem Blick für Realitäten.
Als Vizepräsidentin und später als Präsidentin hat Christa zusammen mit den anderen Vizepräsident:innen das Selbstverständnis der INA – unseren common ground – als Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit lebendig gehalten, ihn mit allen Beteiligten immer wieder reflektiert und weiterentwickelt sowie die inhaltliche Kompetenz und das Profil der Gesamtorganisation präzisiert.
Christa war immer an der Arbeit in allen Instituten interessiert und bereit, die Institutsdirektor:innen und Mitarbeiter:innen zu beraten und ihnen unterstützend zur Seite zu stehen und im Konfliktfall gemeinsame Lösungen zu finden; die INA auch im internationalen Rahmen zu vertreten und das Vertrauen der Förderer gegenüber den einzelnen Arbeitsbereichen durch ihre Präsenz und ihre Beiträge z.B. bei Veranstaltungen der Institute zu stärken. Sie war häufig die Repräsentantin, das Gesicht der INA, da, wo es über das einzelne Institut hinaus wichtig war.
Bemerkenswert ist, dass für Christa der Gründungsprozess nicht mit der faktischen Gründung der Organisation endete, sondern sich fortsetzte im Aufbau- und Entwicklungsprozess. Christa hat von Anfang an und durchgängig Verantwortung übernommen – Verantwortung für die Gesamtorganisation sowie für die Arbeit in zwei großen Instituten.…. und Christa hat uns noch ein Stück auf einer gemeinsamen zukunftsorientierten Spur begleitet!
Die INA ist seit einigen Jahren in einem – von Christa mitgetragenen und in ihrer Zeit als Präsidentin von ihr moderierten – längeren Umbauprozess, einem Organisationsentwicklungsprozess, um Herausforderungen und Strukturprobleme, gemeinsam zu bewältigen.
Zur Zeit sind bereits folgende Elemente dieses Umbaus umgesetzt bzw. in der Entwicklung:
- Abschaffung des Mehrheitsgesellschafter-Prinzips und der Rolle des/der Präsidenten/der Präsidentin;
- Umverteilung der Gesellschafteranteile auf zur Zeit 18 Gesellschafter:innen damit Stärkung des gemeinsamen Ownerships, der Verantwortung und Beteiligung auf breiterer Basis;
- Einführung einer kollegialen Leitungsstruktur, die durch das erweiterte Präsidium (zur Zeit 5 Mitgliedern) und die Geschäftsführerin wahrgenommen wird und durch regelmäßige Institutsdirektor:innen-Konferenzen ergänzt wird.
In diesem zukunftsorientierten Prozess findet sich das Leitprinzip von „Einheit von Inhalt und Form“ wieder, das von Christa und einigen Kolleg:innen bereits vor vielen Jahren geprägt wurde. Damit ist gemeint, dass die Ziele, Werte und Inhalte der Arbeit sich als durchgängigem Prinzip in der Organisationsstruktur als auch in den Arbeits- und Verhaltensweisen der Beteiligten wiederfinden – sie ziehen sich im besten Fall wie ein roter Faden durch alle Bereiche der Organisation. Die Organisation repräsentiert und spiegelt als Ganzes die Ziele, Werte und Inhalte der Arbeit wider.
Auf dieser Spur werden wir weiter gehen!
Zum Schluss mein Abschiedsgruß an Christa
Liebe Christa, es ist ein völlig unerwarteter, viel zu früher und unendlich trauriger Abschied, aber du wirst mit all den Dimensionen deiner Persönlichkeit und deines Lebenswerks, das wir heute versucht haben, zu würdigen, in unseren Überzeugungen, unserer Arbeit, unseren Initiativen und Projekten weiterleben. Wir werden auf deinen, auf unseren gemeinsamen Spuren in die Zukunft gehen, neue Entwicklungen anstoßen, unsere Ansätze weiterentwickeln und kontinuierlich an der Nachhaltigkeit unserer Innovationen in der Praxis arbeiten. In diesen Innovationen und in dieser Praxis wirst du weiterleben. Du wirst in unseren Herzen und in unserer Arbeit aufgehoben sein.
Farewell, liebe Freundin und einzigartige Kollegin und Weggefährtin! Danke!
Anhang
INA INSTITUTE
- Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung (BeKi), ID Milena Lauer / Martina Castello
- Institut für den Situationsansatz (ISTA), ID Katrin Macha
- Institute for Youth and Community Empowerment (IYCE) / YEPP EUROPE,ID Angelika Krüger / Jochen Schell
- Institut für Mediative Kommunikation und Diversity Kompetenz (IMK), ID Doris Klappenbach-Lentz / Nicole Berse-Schaks
- Institut für Qualitative Forschung (IQF), ID Katja Mruck / Günter Mey / Rubina Vock
- Institut für Internationale Stadtforschung (InUrban), ID Matthias Kracht
- Institute Heritage Studies (IHS), ID Marie-Theres Albert
- Institut für Innovationstransfer und Projektmanagement (IFI), ID Yihong Hu
- Institut Organisation und Management (IOM), ID Thomas Koditek
- Paulo Freire Institut (PFI), ID Sophie Kotanyi
September 2022